Ayahuasca bei Kindheitstrauma
Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich untersucht, wie Ayahuasca, ein psychoaktives Gebräu aus dem Amazonasgebiet, Erwachsene mit Kindheitstraumata unterstützen kann.
Kindheitstraumata betreffen weltweit zwischen 33 % und 47 % der Menschen und sind mit erheblichen langfristigen Folgen verbunden. Diese umfassen nicht nur emotionale Belastungen, sondern auch eine erhöhte Vulnerabilität für physische und psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Suchtprobleme und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Zudem verändern sie oft neurobiologische Strukturen, was die Stressregulation und das emotionale Verarbeitungsvermögen beeinträchtigt.
Angesichts der begrenzten Wirksamkeit herkömmlicher Therapien gewinnen Psychedelika zunehmend an wissenschaftlichem Interesse. In meiner Masterarbeit1 habe ich mich mit der Wirkung von Ayahuasca auf Erwachsene mit Kindheitstrauma(ta) auseinandergesetzt. Dabei wurden quantitative Daten von 77 Teilnehmenden erhoben, ergänzt durch qualitative Interviews mit 11 Personen, um tiefergehende Einblicke in ihre individuellen Heilungserfahrungen zu gewinnen. Diese Methodenkombination ermöglichte eine differenzierte Betrachtung der therapeutischen Potenziale von Ayahuasca.
Was ist Ayahuasca?
Ayahuasca besteht aus der Liane Banisteriopsis caapi und den Blättern der Psychotria viridis. Gemeinsam entfalten diese Pflanzen eine starke psychoaktive Wirkung. Die β-Carboline der Liane hemmen den Abbau von DMT, einer Substanz, die intensive halluzinogene Erfahrungen hervorruft.
Traditionell wird Ayahuasca von indigenen Gemeinschaften genutzt, um spirituelle Einsicht und Heilung zu erfahren. Wissenschaftlich zeigt sich, dass die Substanz tiefgehende Veränderungen in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Emotionen und Erinnerungen bewirken kann.
Ayahuasca-Zeremonien, die oft von erfahrenen Schaman:innen geleitet werden, beinhalten mehr als nur den Konsum des Gebräus. Musik, Gesänge und rituelle Handlungen tragen zu einer tiefgreifenden emotionalen und spirituellen Erfahrung bei. Diese Rahmenbedingungen verstärken die heilende Wirkung und schaffen eine geschützte Umgebung, in der sich Teilnehmer:innen sicher fühlen können.
Die Studie im Überblick: Ayahuasca und Kindheitstraumata
Die Studie umfasste 77 Personen mit einer Vorgeschichte von Kindheitstraumata. 11 von ihnen nahmen zusätzlich an qualitativen Interviews teil. Die Ergebnisse waren vielversprechend:
Traumaverarbeitung: 75 % der Teilnehmenden berichteten, dass Ayahuasca ihnen geholfen hat, traumatische Kindheitserinnerungen zu verarbeiten. Viele erlebten das Wiedererleben und die Neubewertung belastender Erinnerungen.
Positive Veränderungen: 92 % der Befragten gaben an, dass Ayahuasca ihr Leben positiv verändert hat. Zu den genannten Verbesserungen zählten gesteigerte Selbstliebe, Selbstfürsorge, verbesserte Beziehungen und ein erhöhtes Wohlbefinden.
Herausforderungen: 26 % berichteten von psychischen Belastungen während der Zeremonien, die jedoch meist als Teil des Heilungsprozesses akzeptiert wurden.
Unterstützung: 84% der Befragten gaben an, ausreichend unterstützt worden zu sein (z.B. durch die Möglichkeit ihre Erfahrung danach teilen zu können).
Wie Ayahuasca den Heilungsprozess fördert
Die Studie identifizierte mehrere Mechanismen, durch die Ayahuasca bei der Traumaverarbeitung hilft:
Emotionaler Durchbruch: Viele Teilnehmende berichteten, intensive Gefühle und Erinnerungen bewusst erlebt und verarbeitet zu haben. Diese Erlebnisse wurden oft als befreiend und reinigend beschrieben (Katharsis). Dies zeigt auch, dass Ayahuasca Vermeidungsverhalten bzgl. Traumainhalten reduziert.
Neubewertung traumatischer Erinnerungen: Belastende Erinnerungen wurden oft neu bewertet und in einen heilsamen Kontext gesetzt, was ein wichtiger Wirkfaktor moderner Traumatherapien ist.
Etwas Fehlendes oder Verlorengegangenes erleben: Viele Teilnehmer:innen berichteten von Erfahrungen, in welcher sie Qualitäten wie z.B. Unschuld oder bedingungslose Liebe erlebten — im Gegensatz zu ihren Kindheitserfahrungen.
Gefühl von Verbindung: Die Erfahrung tiefer Verbundenheit und Liebe half den Teilnehmenden etwas zutiefst Nährendes zu erleben.
Akzeptanz: Viele Teilnehmende berichteten, dass die Ayahuasca-Erfahrung geholfen hat, Kindheitstrauma(ta) anzunehmen.
Symbolische Entlastung: Einige berichteten, dass das Erbrechen während der Zeremonien als symbolisches Loslassen von Traumata empfunden wurde.
Ein sicherer Rahmen ist entscheidend
Die Ergebnisse zeigen auch, dass ein sicherer und unterstützender Rahmen wichtig für heilsame Ayahuasca-Erfahrungen ist. Zeremonien, die von erfahrenen Facilitators oder Schaman:innen geleitet werden, bieten Schutz und Orientierung während der oft herausfordernden inneren Prozesse. Es ist bekannt, dass die Vorbereitung auf die Zeremonie, einschließlich diätetischer und mentaler Vorbereitung, für eine gute Erfahrung wesentlich ist.
Ebenso wichtig ist die Integration nach der Zeremonie. Hierbei werden die gewonnenen Einsichten reflektiert und in den Alltag übertragen. Ohne diese Nachbereitung könnten die tiefen emotionalen Erfahrungen verpuffen oder gar belastend wirken. Einige Teilnehmer:innen berichteten von mehrwöchigen Schwierigkeiten ihre Ayahuasca-Erfahrung gut in ihr Leben zu integrieren.
Risiken und Herausforderungen
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse birgt Ayahuasca Risiken:
Psychische Belastung: Intensive emotionale und mentale Herausforderungen können auftreten, insbesondere während der Verarbeitung von Traumata. Diese Erfahrungen erfordern eine hohe Resilienz und können ohne adäquate Betreuung überwältigend sein.
Physische Reaktionen: Übelkeit und Erbrechen sind häufige Nebenwirkungen und werden oft als reinigender Teil des Prozesses angesehen. Dennoch können sie für manche belastend sein.
Rechtliche Aspekte: In vielen Ländern ist Ayahuasca illegal, was den Zugang zu professionell geleiteten Zeremonien erschwert. Dies zwingt manche Menschen, Zeremonien in unregulierten oder unsicheren Kontexten durchzuführen.
Es ist daher entscheidend, sich gründlich über die Zeremonieanbieter und deren Erfahrung zu informieren, bevor man sich auf diese Reise begibt (siehe auch meinen Leitfaden für sichere Ayahuasca-Erfahrungen).
Weitere kulturelle und wissenschaftliche Perspektiven
Die Erforschung von Ayahuasca steht an der Schnittstelle von traditionellem Wissen und moderner Wissenschaft. Indigene Kulturen betrachten Ayahuasca nicht nur als medizinisches Mittel, sondern auch als heiliges Werkzeug zur spirituellen Weiterentwicklung. Dies wirft wichtige Fragen darüber auf, wie westliche Wissenschaft und indigene Praktiken respektvoll zusammenarbeiten können.
Aus wissenschaftlicher Sicht wird zunehmend erkannt, dass die Wirkung von Ayahuasca über biochemische Prozesse hinausgeht und wichtige therapeutische Wirkmechanismen, wie z.B. psychologische Flexibilität, anspricht. Die neuroplastischen Effekte von DMT und anderen Komponenten des Pflanzensuds sind ein vielversprechendes Forschungsfeld, das eine Brücke zwischen Naturheilkunde und moderner Wissenschaft schlagen könnte.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen das therapeutische Potenzial von Ayahuasca bei der Verarbeitung von Kindheitstraumata, insbesondere durch die Förderung von emotionaler Verarbeitung, Akzeptanz und Neubewertung traumatischer Erinnerungen. Viele Teilnehmer:innen berichteten von langfristigen positiven Veränderungen, wie besseren zwischenmenschlichen Beziehungen, mehr Selbstliebe und Selbstfürsorge, und mehr Wohlbefinden. Gleichzeitig betont die Studie, dass die Heilung von Kindheitstraumata ein kontinuierlicher Prozess ist und Ayahuasca-Erfahrungen nur einen Teil dieses Weges darstellen. Kritische Punkte sind die Intensität der Erfahrungen, die potenziell belastend sein können, sowie die Notwendigkeit einer sorgfältigen Integration und professionellen Begleitung. Weitere kontrollierte Studien sind notwendig, um Wirksamkeit, Sicherheit und potenzielle Risiken systematisch zu erfassen.
Nagler, J. (2024): Exploring the therapeutic potential of ayahuasca for adults with childhood trauma: A mixed-methods approach [Master’s Thesis, University of Vienna]. u:theses. http://dx.doi.org/10.25365/thesis.76706 ↩︎